Eine Antwort auf „Paulus contra Jakobus?“

  1. In dem Vortrag wurde mit Luther behauptet, daß das „allein durch den Glauben“ „voll und ganz dem Inhalt der paulinischen Aussage“ entspräche. Doch warum vermeidet der Apostel das Wort „allein“, das Luther zum Gotteswort hinzugefügt hat, und warum ließ sich Luther auch durch den Hinweis auf den Urtext nicht davon abbringen? Alles andere sei ausgeschlossen. In der Tat sind die Gesetzeswerke ausgeschlossen, durch die der Apostel in seiner pharisäischen Vergangenheit selig werden wollte. Doch was ist mit den Glaubenswerken? Im Jüngsten Gericht wird Christus sagen: „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben, … Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. …“ Das sind doch alles Werke, die Jesus hier aufzählt. Daß nicht alle Katholiken Luthers Rechtsfertigungslehre zustimmen, liegt auch daran, daß dessen Auffassung nicht exakt der biblischen Botschaft entspricht. Die verwunderte Frage im Jüngsten Gericht, wann sie die von Jesus aufgezählten Werke getan haben, zeigt, daß es sich nicht um Gesetzeswerke handelt, mit denen sie sich den Himmel verdienen wollten. Denn sonst wüßten sie, wann sie diese Werke taten, wie der Pharisäer im Gleichnis vom betenden Pharisäer und betenden Zöllner seine Werke aufzählen konnte, daß er zweimal in der Woche fastet und den Zehnten gibt (Luk. 18,12). Bei den Glaubenswerken, die im Unterschied zu den Gesetzeswerken in Röm. 3 keineswegs ausgeschlossen sind, handelt es sich um Früchte des Glaubens. Wie Äpfel, die am Weihnachtsbaum hängen, den Weihnachtsbaum nicht zum Apfelbaum machen, so bewirken die von Jesus aufgezählten Werke nicht die Seligkeit. Denn Jesus verheißt dem einen der mit ihm gekreuzigten Kriminellen das Paradies, obwohl dieser nach seiner Bekehrung keine Gelegenheit mehr hatte, Hungrige zu speisen und Nackte zu bekleiden.
    Doch Jesu Predigt von den guten Früchten eines guten Baumes blieb dem Luther verborgen. Denn Luther selbst war ein übler Baum, der üble Früchte des Blutvergießens hervorbrachte. So belehrte er die weltliche Obrigkeit angeblich aus dem Gotteswort, es sei ihre Aufgabe, die Wiedertäufer notfalls dem Henker zu übergeben. Das widerspricht eindeutig seiner eigenen Lehre. Doch Luther war nicht nur ein Diener Christi, sondern auch ein Kirchendiener. Doch auch er konnte nicht zwei Herren dienen. Damit waren schon die Hohenpriester überfordert. Sie wollten Gott dadurch dienen, daß sie die Wege Gottes verließen. Deshalb wollten sie nicht nur Jesus töten, sondern sogar den von den Toten auferweckten Lazarus (Joh. 12,10), dem sie überhaupt nichts vorwerfen konnten, deshalb haben sie ihren Messiasglauben verraten, indem sie dem Pilatus bekannten: „Wir haben keinen König als den Kaiser“ (Joh. 19,15), deshalb haben sie die Jünger verleumdet, sie hätten Jesu Leib gestohlen. Wie damals die Befürchtung war „alle Welt läuft ihm nach“ (Joh. 12,19), so befürchtete auch Luther, daß ihm das Werk der Reformation entgleitet. Um dieses Werk zu retten, verfälschte er das Gotteswort in der Weise, daß der Einsatz des Henkers in der theologischen Auseinandersetzung als gottwohlgefällig erschien. Diese dunklen Flecken in der Kirchengeschichte sind unumstritten, werden aber von denen verschwiegen, die den Heiligenschein von St. Luther polieren. Denn sie befürchten, daß, wenn erst einmal der Wittenberger Papst demontiert ist, Luthers Autorität auf irgendeinen Baptistenhäuptling übergeht. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Kor. 3,11). Ist dieser Grund ohnehin verlassen, dann ist es auch kein großer Unterschied, ob man sich auf den Papst in Rom, auf Luther, auf Calvin, auf den Stammapostel der Neuapostolischen oder auf irgendeinen anderen Papst gründet.
    Wer es mir übel nimmt, daß ich solche Lutherworte zitiere, die der Reformator besser nicht geschrieben hätte (z. B. in der Broschüre Martin Luther – ein Kirchendiener, aber kein Diener Christi, veröffentlicht auf http://www.johannes-lerle.net/theologie/martin-luther-ein-kirchendiener-aber-kein-diener-christi/), der gibt damit zu erkennen, daß er in dem Sinne lutherisch ist, wie man in Korinth paulisch oder apollisch war. Und die Lehre Luthers unterscheidet sich von der Bibellehre. In seiner Ablehnung der päpstlichen Werkgerechtigkeit war Luther ein Prediger der Gesetzlosigkeit. Die Gesetzlosigkeit – griechisch anomia (Matth. 7,23; 13,41; 23,28; 24,12; Röm. 4,7; 6,19; 2. Kor. 6,14; 2. Thess. 2,3.7; Tit. 2,14; Hebr. 1,9; 10,17; 1. Joh. 3,4) – wird in der Bibel negativ gewertet. Deshalb kommt das Wort „Gesetzlosigkeit“ nirgendwo in seiner Übersetzung des Neuen Testaments vor. Zwar sind wir durch Christus nicht mehr unter dem Gesetz; doch das ist keine Freiheit vom Gesetz, sondern, wie der Prophet Jeremia prophezeit hat, will Gott sein Gesetz in unser Herz und Sinn schreiben (Jer. 31,33). Das sind die guten Früchte eines guten Baumes, die sich von den üblen Früchten des Blutvergießens unterscheiden, die Luther hervorbrachte. Am Seminar der Lutherischen Freikirche hatte ich gelernt, daß die Früchte die Lehre seien. Denn die Werke sind unvollkommen, die Lehre sei aber rein; zumindest bescheinigen sich das die „Lutheraner“ gegenseitig. Durch eine derartige Auslegungsakrobatik kann man das Gotteswort so hinbiegen, wie man es braucht.
    Seit Luther wurde die Rechtfertigung weitgehend auf die Gerechtsprechung des Sünders im Jüngsten Gericht beschränkt. Luther war vor seinem Eintritt ins Kloster Jurist, und das juristische Denken hatte ihn verdorben. Damals wie heute bauten und bauen Juristen ihre Rechtsprechung auf fiktive Sachverhalte. Zur Zeit Luthers war es Hexerei, die man nicht beweisen, sondern lediglich behaupten konnte. Heute ist es die lediglich behauptete Offenkundigkeit verschiedener Naziverbrechen, so daß man „Leugner“ derselben in Deutschland bis zu fünf Jahren einkerkert, ohne die „geleugneten“ Verbrechen beweisen zu müssen, da sie offenkundig seien. Heute wird das Menschsein irgendwelcher willkürlich abgegrenzter Personengruppen einfach ausgeblendet, so daß die Freiheitsrechte der amerikanischen Verfassung nicht für Negersklaven galten und in Deutschland das volle Tötungsverbot erst mit dem Durchgang durch den Geburtskanal greift. Wenn die Verkommenheit juristischen „Denkens“ auch Theologen erfaßt, dann wird der Sünder im Jüngsten Gericht wahrheitswidrig gerecht gesprochen, obwohl er es nicht ist. Die heilende, die sanative, Dimension der Rechtfertigung, die den Menschen verändert, wird übersehen; es wird übersehen, daß er eine neue Schöpfung ist (2. Kor. 5,17; Gal. 6,15). Leben wir, so leben wir dem Herrn“ (Röm. 14,8), und das doch nicht erst im Himmel, sondern schon jetzt in der christlichen Heiligung. Röm. 7 wird verstanden als „sowohl gerecht als auch Sünder“ (simul justus et peccator), während der Apostel von zwei zu unterscheidenden Subjekten spricht. Vielfach wird übersehen, daß beim Apostel Sündenerkenntnis immer eine Kriegserklärung an die Sünde ist und keineswegs, daß man sich mit der Sünde als Dauerzustand abfindet und sich dabei womöglich noch demütig vorkommt wie der Zöllner im Unterschied zum Pharisäer im Gleichnis Jesu. Die Heiligung ist keine Bedingung für die Rechtfertigung, die allein durch Christi Tod und Auferstehung gewirkt wird. Denn sonst könnte Christus nicht dem Mitgekreuzigten das Paradies verheißen. Durch die gute Frucht wird ein Baum auch nicht zum guten Baum. Doch bei der gedanklichen Unterscheidung von Baum und Frucht bzw. von Rechtfertigung und Heiligung dürfen wir deren innere Einheit nicht übersehen, wie es leider in der lutherischen Tradition ständig geschieht.
    Ein Beispiel sind die Reaktionen auf die Sünden von Schülern eines Gymnasiums der amerikanischen Wisconsinsynode im Jahre 1924, deren Folgen bis heute nachwirken. Schüler dieses Gymnasiums gingen wiederholt gemeinschaftlich auf Diebestour. Das führte Pastor Beitz in einem Vortrag auf Mängel bei der christlichen Unterweisung und auf Fehler bei der Pastorenausbildung zurück. Als Leitfaden für seinen Vortrag wählte er einen Bibelvers über die Rechtfertigung, und zwar Gal 3,11: „Der Gerechte wird aus Glauben leben“. Die Abtrennung der Rechtfertigung von der Heiligung wertete Beitz als verheerend. Die Verkündigung, daß der Gerechtfertigte schon auf Erden aus Glauben lebt, sei sowohl in den Gemeinden als auch am theologischen Seminar zu kurz gekommen. Wie Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten dadurch erzürnte, daß er ihnen bezeugte, daß ihre Werke böse sind (Joh. 7,7), so erzürnte auch Pastor Beitz die Kirchenleitung und die Professoren durch seine Kritik an der Verkündigung. Deshalb verleumdete man Pastor Beitz als Irrlehrer. Seine Irrlehre sei die Vermischung von Rechtfertigung und Heiligung und von Gesetz und Evangelium. Denn seine Worte „Du findest die Buße am Fuße des Kreuzes“ bedeuten, daß die Buße durch das Evangelium gewirkt wird, da sie angeblich allein durch das Gesetz gewirkt werde. In der Tat steht geschrieben: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Röm. 3,20); doch die hochgelehrten WELS-Theologen hatten übersehen, daß Sündenerkenntnis, wie auch Judas sie hatte, noch keine Buße ist. Weil die theologische Sophisterei von der gelebten Jesusnachfolge abgetrennt war, hat man sich im Gestrüpp der Dogmatikparagraphen verheddert. Pastor Beitz und Gleichgesinnte wurden exkommuniziert. Die damaligen Verwerfungen der Bibellehre sind bis heute nicht richtiggestellt. Denn eine Richtigstellung würde bedeuten, daß frühere Synoden und Kirchenleitungen geirrt haben. Luther hatte gelehrt, daß auch Päpste und Konzilien irren können. Wenn man einräumt, daß die Exkommunikation von Pastor Beitz ungerechtfertigt war, so würde das bedeuten, daß nicht nur Päpste und Konzilien irren können, sondern auch WELS-Professoren und WELS-Synoden. Doch das einzuräumen halten Kirchendiener für unangebracht. Hier zeigt sich, daß ein Kirchendiener nicht zugleich auch ein Diener Christi sein kann.
    Der Titel einer WELS-Veröffentlichung ist Der Hirte unter Christus. Doch gehandelt wird nach dem Motto: Der Hirte über Christus. Das ist der Geist der Feinde Christi, den Jesus im Gleichnis von den bösen Weingärtnern folgendermaßen beschreibt: „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche“ (Luk. 19,14). Wie diese Ablehnung der Herrschaft Christi in die WELS eingedrungen ist, zeigt ein kirchengeschichtliches Papier von Pastor Jeske, in dem es zu den Suspensionen im Zusammenhang mit der Beitz-Kontroverse heißt: „Whether or not the suspensions were just, though, they were approved formally on three separate occasions by the vote of a considerable majority, and as such deserved to be recognized as authoritative within synodical membership.“ (Mark A. Jeske: A HALF CENTURY OF FAITH-LIFE, 1978, S.31). Diese Entgleisung bedeutet: Erhebliche synodale Mehrheiten können durch wiederholte Abstimmungen Fehlentscheidungen mit Rechtskraft versehen. Im Klartext: Auf demokratische Weise wurde die Königsherrschaft Jesu über die WELS verworfen. „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche“ (Luk. 19,14). Das wollen auch diejenige nicht, die mit der WELS in Kirchengemeinschaft stehen, zum Beispiel die Evangelisch-Lutherische Freikirche (ELFK).
    Wer in dem Sinne lutherisch ist, wie man in Korinth paulisch oder apollisch war, wer meint, dadurch auf dem Fundament Christus gegründet zu sein, daß er sich auf Luther gründet, von dem lediglich behauptet wird, er sei auf Christus gegründet, bei wem die Jesusnachfolge zur Luthernachfolge verkommt, der liest die Bibel durch die Brille Luthers und fügt mit dem Reformator ein „allein“ zum Gotteswort hinzu.
    Johannes Lerle

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